Von Michael Stephan
Das Verglimmen von getrockneten Pflanzenteilen ist einer der ältesten Bräuche der Menschheit: Es berührt die Seele, wirkt ausgleichend und hilft dabei, ganz neue Kräfte zu sammeln. Das Räuchern ist ein jahrhundertealter Brauch, der von verschiedenen Opferritualen und der Verehrung von Heiligen oder Göttern dient. Außerdem wird das Verräuchern von Kräutern seit jeher für die Reinigung der Luft genutzt.

Im Verbindung mit religiösen und spirituellen Handlungen ist es darauf gerichtet, Entspannung zu erleichtern sowie in einem tieferen Bewusstseinszustand zu gelangen. Eine erste Erwähnung des Räucherns ist im berühmten Gilgamesch-Epos enthalten, dessen Entstehung auf die Jahre 3000 bis 2600 vor Christus datiert wird. Dort wird eine Weihrauchzeremonie in Zusammenhang mit Opfergaben beschrieben.
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Im Römischen Reich wurden Fürbitten mittels Rauch ("per fumum") zum Himmel geschickt. Das Räuchern sollte eine Verbindung zu den Göttern herstellen und diese besänftigen. Überlieferungen berichten davon, dass bei der Beerdigung von König Herodes etwa 5000 Personen mit Räucherwerk beteiligt waren. Später war das Ausräuchern der Wohnhäuser oder Hütten in Verbindung mit Ereignissen wie Geburt, Hochzeit, Krankheit und Tod üblich.
Dem Verbrennen von Pflanzen wird ein Transformationsprozess in der menschlichen Seele zugeschrieben, der sie wieder in ein Gleichgewicht bringen oder Stress abbauen kann. Diese spirituellen Kraeuterfrau02

Effekte überlagern von Beginn an das gleichzeitige Freisetzen psychoaktiver Wirkstoffe beim Räuchern. Das Einatmen von Weihrauch beispielsweise kann den Geist des Menschen in einen Zustand bringen, der die Meditation erleichtert. Über den Geruchssinn des Menschen werden auf direktem Weg Emotionen geweckt und oftmals sehr private Erinnerungen wachgerufen. In diesem Prozess können belastende oder negative Gedanken aus dem Alltagsleben verdrängt werden. Bereits vor der Christianisierung war das Räuchern in der Alltagskultur der nordischen Völker sehr verbreitet. Heiler, Seher und Zauberer wandten es häufig an.
Die alten Ägypter gaben dem rituellen Räuchern den Namen "Kyphi". Schon der Dichter und Philosoph Plutarch gab eine detaillierte Beschreibung der dort verwendeten reichen Kräutermischung. In den arabischen Ländern war und ist aber Weihrauch der am häufigsten vorkommende Duft. Er wird bis heute verwendet, um Kleidung zu desinfizieren und ihr einen angenehmen Duft zu geben. Die amerikanischen Ureinwohner räucherten im Zusammenhang mit ihren Zeremonien die Räume aus, um sie vor negativen Energien zu befreien. Der Hinduismus in Indien und Nepal kennt seit Jahrtausenden Räucherrituale, traditionell bei Begräbnissen. Indien ist außerdem das Ursprungsland der Räucherstäbchen, die dort als "Agarbatti" bezeichnet werden. Der Name leitet sich von "Agarholz" (Adlerholz) ab, das als eines der seltensten und teuersten Räuchermittel der Welt gilt.
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Die hohe Zeit des duftenden Rauchs sind die Rauhnächte, die ihren eigentlichen Ursprung in der katholischen Kirche haben. Die Bauern räucherten einst in den zwölf Rauhnächten zwischen Weihnachten und Dreikönigstag die Ställe aus, um so ihr Vieh gesund zu erhalten. Heutzutage werden die Rauhnächte allgemein als eine magische Zeit verstanden und von vielen Anhängern begangen, die mit ihnen ihre Hoffnung auf Glück, Heilung, Liebe und Reinigung verbinden. In den zwölf Nächten dieser heiligen Zeit wird der Glaube gepflegt, die Seelen kehrten wieder und Geister würden erscheinen. Es werden Zukunftsdeutungen entwickelt, Orakel beschworen und bei vielen Gelegenheiten Räucherrituale begangen. Drei Mal wird gegen den Uhrzeigersinn mit dem entzündeten Räucherwerk aus Pflanzen und Harz durch jeden Raum des Hauses, der Wohnung oder dem Stall gegangen. So sollen Freude gebracht, die Luft gereinigt, negative Energien und böse Geister vertrieben werden. Am Dreikönigstag findet dann gewöhnlich das krönende Abschlussritual statt. Die Sternsinger erscheinen und mit einem nochmaligen kräftigen Räuchern wird einer guten, segensreichen Zukunft das Tor geöffnet. Als klassisches Rauchwerk werden dafür Harze wie Weihrauch und Myrrhe sowie frische Zeige in die Räucherpfanne gelegt, mit der man das jedes Zimmer betritt. "Der Weihrauch steht für das Männliche, die Myrrhe fürs Weibliche – darum sollte man sie immer mischen", weiß Margot Strötz aus Bad Tölz, die seit über 50 Jahren fast täglich räuchert. Jahrzehnte habe sie geforscht, bis sie die heutigen Erfahrungen gemacht habe. "Mach die Mücke" heißt eine ihrer besonderen Mischungen – bestehend aus Pflanzen, die die Mücke nicht besonders mag. Das Kräuterwissen kommt von den Großeltern, so Margot Strötz im Gespräch. "Hollerfee" darf man sie nennen, ausdrücklich betont sie aber: "Ich bin keine Schamanin und möchte auch nicht in die esoterische Ecke gesteckt werden". In der Bibel finden sich über Tausend Hinweise auf Kräuter, Pflanzen und Räuchern, so die überzeugte Christin weiter. "Ich werde oft in Kirchen oder Klöster gebeten um zu räuchern – verbrauchte Energie lösen und neue, frische und gute Energie zu bringen". "Das was man am meisten braucht zum Räuchern, wächst vor der eigenen Haustür" erklärt sie und fügt hinzu: "Auch zum Räuchern eignen sich heimische Kräuter bestens – und nicht nur zu den Rauhnächten. Allerdings werden die getrockneten Kräuter nicht direkt auf die Glut oder Räucherkohle, sondern in das Sieb eines Räucherstövchens gelegt. Wenn der Duft des Räucherns durch das Haus zieht, öffnen sich die Sinne", verrät sie. Im großen Kräutergarten vor dem über 160 Jahre alten Malerhaus in Bad Tölz, direkt am Ufer der Isar gelegen, wächst alles , was das Kräuterherz von Margot Strötz begehrt. "Ich sammle auch viel auf den umliegenden Bergen, dort steckt noch mehr Energie in den Pflanzen. Ich ernte bei Sonnenschein und bedanke mich bei den Kräutern für ihre Hilfe. Das Meditative beim Sammeln der Kräuter, die sorgfältige Trocknung und liebevolle Zubereitung – das ist für mich ganz wichtig. Ein Leben ohne die Kräuter und das Räuchern? Für mich gar nicht mehr vorstellbar", so die "Hollerfee" Margot Strötz abschließend.
Infos: Hollerfeen Bad Tölz, Margot Strötz, Fröhlichgasse 17, 83646 Bad Tölz; Tel. 08041 / 9067
Tölzer Land Tourismus, Prof.-Max-Lange Platz1, 83646 Bad Tölz; Tel. 08041 / 505208; www.toelzer-land.de